Dank der koordinierten Arbeit der Dokumentation seitens Acción Urgente para la Defensa de los Derechos Humanos (ACUDDEH AC), dem Comité Cerezo und der Nationalen Kampagne gegen das Gewaltsame Verschwindenlassen (Campaña Nacional Contra la Desaparición Forzada), präsentieren wir in diesem Bericht Zahlen und Daten, die Hinweise liefern hinsichtlich den Aggressionen, willkürlichen Festnahmen, extralegalen Hinrichtungen und gewaltsamen Verschwindenlassen, die zwischen dem 1. Juni 2016 und 31. Mai 2017 gegenüber Menschenrechtsverteidiger*innen begangen worden sind.
Es wurden 1442 Menschenrechtsverletzungen an Menschenrechtsverteidiger*innen gezählt. Dies geschah im Kontext ihrer Arbeit, d.h. aufgrund der Verteidigung der Menschenrechte in Mexiko. Die Häufigkeit der Verletzungen sagt viel aus sofern wir diese mit dem vorherigen Bericht vergleichen.
Um sich eine Vorstellung von der Schwere des Problems machen zu können, halten wir fest, dass im Zeitraum zwischen Juni 2016 und Mai 2017 täglich vier Menschenrechtsverletzungen gegenüber Menschenrechtsverteidiger*innen in Mexiko begangen worden sind.
Allein in den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca fanden zwei Menschenrechtsverletzungen täglich statt. Mexikoweit hingegen wurde jeden Tag ein*e Verteidiger*in Opfer von Angriffen gegen ihre*seine körperliche Integrität. Zwei von ihnen waren täglich willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt.
Menschenrechtsverletzungen gegenüber Verteidiger*innen
579 Verteidiger*innen wurden angegangen, angegriffen, bedroht, eingeschüchtert, illegal überwacht oder verfolgt wovon mehr als die Hälfte der Fälle – 372 – im Bundesstaat Oaxaca erfolgt sind.
Willkürliche Verhaftung
Im Berichtszeitraum waren 795 Personen willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt. Es gilt zu beachten, dass im Zeitraum von Felipe Calderón (mex. Präsident 2006-2012) 999 dieser Fälle dokumentiert worden sind. Anderthalb Jahre vor Ende der Amtszeit von Enrique Peña Nieto (mex. Präsident 2012-2018) sind bisher 2426 Fälle willkürlicher Verhaftungen dokumentiert worden.
Die Verhaftungen erfolgten hauptsächlich im Zuge der Ausübung des Menschenrechts auf Protest während des sogenannten „Gasolinazos“, als zum Jahresanfang 2017 die mexikanische Regierung die Benzin- und Gaspreise rapide noch oben schraubte, als auch im Laufe der Proteste gegen die geplante Bildungsreform, die die ländlichen und urbanen Lehramtsschulen (auf Spanisch: normales) als auch den organisierten Lehrkörper (auf Spanisch: magisterio) im Allgemeinen betraf.
Extralegale Hinrichtung
Um sich die Schwere der extralegalen Hinrichtung gegen Menschenrechtsverteidiger*innen vorstellen zu können beziehen wir uns auf die dokumentieren Zahlen aus der Periode von Calderón die auf 67 angestiegen sind. In der aktuellen Periode unter Enrique Peña Nieto stieg diese repressive Modalität auf fast das Doppelte an: 123 Hinrichtungen. Allein im Berichtszeitraum von Juni 2016 bis Mai 2017 belaufen sich die Fälle auf 57, d.h. in einem einzigen Jahr sind es lediglich zehn Fälle weniger gewesen als in den sechs Jahren Regierung unter Calderón.
Diejenigen Menschenrechte die die Opfern extralegaler Hinrichtung in diesem Zeitraum am häufigsten ausführten sind:
• 13 Personen die das Menschenrecht auf Protest ausübten
• 11 Personen die das Menschenrecht auf Territorium verteidigten
• 8 Journalist*innen die das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung verteidigten
Gewaltsames Verschwindenlassen
Elf Menschenrechtsverteidiger*innen wurden im Berichtszeitraum Opfer dieser repressiven Modalität, von denen fünf extralegal hingerichtet worden sind und drei wieder frei sind. Im Allgemeinen zeigt uns der Bericht, dass im Vergleich zu den vorherigen Jahren der Gebrauch der extralegalen Hinrichtung die am häufigsten benutzte repressive Modalität seitens des Staates ist. Zeitgleich nimmt der Gebrauch der willkürlichen Verhaftung gegenüber denen, die gegen die Konsequenzen der Strukturreformen protestieren, stetig zu, während laut den Zahlen aus den letzten zwei Jahren sich die Menschenrechtsverletzungen an Menschenrechtsverteidiger*innen von Drohungen (welches die am häufigsten benutzte Modalität vor drei Jahren war) hin zu direkten Angriffen gewandelt haben. Dies zeigt deutlich, dass angesichts dem Willen der Verteidiger*innen ihre Arbeit fortzusetzen der Staat die politische Repression zunehmend intensiviert.
Aufgrund dieser Zahlen hat der mexikanische Staat verschiedene diskursive Mittel eingesetzt, um die Existenz dieser Verbindungen, die ihn direkt mit anderen Akteuren verbindet, zu vertuschen, unsichtbar zu machen oder von ihnen abzulenken. Mit der gleichen Dringlichkeit und Kraft, womit er gegen jene vorgeht die mit ihren Aktionen ökonomische Verluste provozieren, geht er gegen jene Personen oder Personengruppen vor, die mit ihrer Arbeit sichtbar machen und belegen, dass es die gleichen staatlichen Akteure sind, die in letzter Instanz von den Menschenrechtsverletzungen profitieren und die in verschiedensten Weisen mit der illegalen Ökonomie und den Unternehmen, die die natürlichen Ressourcen privatisieren, verbunden sind.
Das erklärt wiederum, warum wir Fälle vorfinden in denen sich Organisationen oder Personen gegen Projekte privater Unternehmen zur Wehr setzen und dennoch Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen werden, die offen von staatlichen Akteuren begangen werden.
Ein weiteres interessantes Merkmal ist außerdem, dass im Angesicht der Entscheidung, einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen an Menschenrechtsverteidiger*innen durch identifizierbare staatliche Akteure zu begehen, und angesichts der Anklagen durch die organisierten Gruppen dieser Aktionen, der Staat in offizieller Manier stets auf die gleiche Art und Weise reagiert:
1. Die Fakten werden geleugnet.
2. Es werden die anklagenden Opfer selbst beschuldigt, dass sie es waren, die angegriffen haben oder es werden unbekannte Dritte beschuldigt.
3. Wenn die Beteiligung des Staates nicht länger geleugnet werden kann, wird behauptet es waren individuelle Taten, ausgeführt von Personen, die isoliert und losgelöst agiert haben und sich nicht innerhalb der Protokolle bewegt haben.
Das Interessante bei diesen Fällen ist, dass besagte isolierte und von jeglicher Kontrolle losgelöste Personen, genau gegen jene Akteure vorgehen, die dem Staat Probleme und Schaden generieren. Noch interessanter erscheint der Umstand, dass jeder einzelne von denen, die außer Kontrolle geraten sind oder außerhalb des Protokolls agieren, einem gleichen Muster folgen wenn sie gegen organisierte Akteure, Menschenrechtsverteidiger*innen oder Journalist*innen vorgehen.
Die Perfektionierung repressiver Techniken beinhaltet auch Aktionen wie das Beibehalten der Straffreiheit bei begangenen Menschenrechtsverletzungen, was wiederum bedeutet, dass der Staat die Blindstellen der Untersuchungen derjenigen Fälle deckt, die am gravierendsten sind, um dadurch zu verhindern, dass sie bis vor internationale Gremien getragen werden. Konkret heißt dies, dass der Staat nicht untersucht, sonderlich lediglich dem Schein nach so tut als ob er das Gesetz einhalten würde, ohne dass sich dies jedoch in Fortschritten bei den Untersuchungen widerspiegeln würde. Gleichzeitig akzeptiert er die Besuche internationaler Menschenrechtsgremien, diskreditiert aber die Berichte, die die internationalen Organismen realisieren. Außerdem entwürdigt er die Verteidigung der Menschenrechte auf zweierlei Weise: er lässt eine Kampagne zu, die die Menschenrechtsverteidiger*innen mit Verteidiger*innen von Kriminellen vergleicht, und schwächt, zweitens, das internationale System der Menschenrechte, indem er das internationale humane Recht stärkt, welches Personen und nicht Strukturen verurteilt, womit behauptet wird, dass die Menschenrechtsverletzungen individuelle Taten sind, ausgeführt von infiltrierten oder gestressten Personen, und dass es zu keinem Zeitpunkt einen Befehl seitens den staatlichen Strukturen gab, die Menschenrechte zu verletzen.
Dies passiert simultan zur Perfektionierung der Strategien der politischen Repression, welche immer blutiger wird. Das letztendliche Ziel besteht darin, mit hoher Effektivität die Dissidenz zu stoppen, zu zerlegen und auszulöschen. Die in diesem Bericht dargestellten Zahlen sind Beweis dafür. Diejenigen Personen, die Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen wurden, haben die „schwere Straftat“ begangen, die Gewinne des neoliberalen Marktes zu behindern. Allesamt haben auf verschiedenen Wegen gekämpft, um das würdige Leben zu verteidigen, das jeder einzelnen und jedem einzelnen Mexikaner*in systematisch durch gewaltsame Mechanismen entrissen wird.
Acción Urgente para Defensores de Derechos Humanos
Comité Cerezo México